Integrative Schule in der Schweiz. Dokumentenanalyse der kantonalen Strategien als Teil der SNF-Studie zu Inklusion
Inklusion zwischen Anspruch und Realität: Interview mit Prof. Dr. Mel Ainscow
Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft 2023
Transformation zu Inklusion:
Anforderungen und Ressourcen für Schul- und Bildungssysteme in
Deutschland, Österreich und der Schweiz und weiteren europäischen Ländern
Chair(s): Prof. Dr. Stephan Gerhard Huber (Pädagogische Hochschule Zug, Schweiz), Prof. Dr. Kerstin Merz-Atalik (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg), Prof. Dr. Barbara Gasteiger-Klicpera (Universität Graz, Österreich: Forschungszentrum für Inklusive Bildung Graz, Österreich)
Diskutant:in(nen): Prof. Dr. Mel Ainscow (University of Glasgow, Scotland, UK), Prof. Dr. Christopher Chapman (University of Glasgow, Scotland, UK)
Die Etablierung inklusiver Bildung stellt eine herausfordernde Aufgabe für Schulen und schulischen Akteure dar. Inklusion ist zu einem umfassenden Reformanliegen in den deutschsprachigen sowie zahlreichen europäischen Bildungssystemen geworden, wobei deren Entwicklungsverläufe in der praktischen Ausgestaltung uneinheitlich sind.
Die Arbeitsgruppe befasst sich mit Fragen zu Steuerungshandeln sowie den Anforderungen und Ressourcen für Transformationsprozesse zu einer Steigerung von Inklusion im Bildungswesen. Vier Beiträge aus der DACH-Region behandeln u.a. rechtliche und konzeptionelle Rahmenbedingungen, den Beitrag digitaler Ressourcen zu digital-inklusiver Schulentwicklung, Ressourcenallokation und deren Folgen sowie Akteurskonstellationen und Prozesse in der Transformation zu einem inklusiven Bildungssystem. Neben theoretischen und methodischen Fragen werden die Bedeutung für den erziehungswissenschaftlichen Diskurs und die inklusive schulische Praxis diskutiert.
Beiträge des Panels
Integrative Schule in der Schweiz. Die Rolle innovativer Schulleitung, Lehrpersonen und Fachpersonen der integrativen Förderung für die Entwicklung der Qualität von Bildung und Schule.
Prof. Dr. Stephan Gerhard Huber, Dr. Isabella Lussi, Marius Schwander, Julia Schaub, Manuela Egger
Institut für Bildungsmanagement und Bildungsökonomie IBB, Pädagogische Hochschule Zug, Schweiz
Die Schweiz ist zur Entwicklung eines integrativen Bildungssystems verpflichtet. Die gesetzlichen Vorgaben dafür sind jedoch kantonal verschieden (Wicki & Antognini, 2022). Der Beitrag stellt eine Studie vor, die Rahmenbedingungen, Zielvorstellungen und Maßnahmen für die Gestaltung von Inklusion in der Schule erfasst und ergründet, welche Rolle die Koordination durch die Schulleitung, die Kooperation im pädagogischen Team und die Einstellungen schulischer Akteure für die Umsetzung spielen.
Im Rahmen einer Dokumentenanalyse werden kantonale Konzepte zur inklusiven Schule auf ihr Inklusionsverständnis hin untersucht (Piezunka et al., 2017) und anhand des Index for Inclusion (Booth & Ainscow, 2011) analysiert und die darin vorgesehenen Maßnahmen induktiv erfasst. Zusätzlich werden Schulleitungen, Lehrpersonen und sonderpädagogische Fachpersonen in zehn Kantonen zu ihren Einstellungen zu Inklusion, zur Koordination und Kooperation im Kollegium und zur Umsetzung im Unterricht befragt.
Die Konzepte unterscheiden sich in allen untersuchten Aspekten, wobei Zielsetzungen stärker auf Leistungsförderung fokussieren als auf soziale Teilhabe und Maßnahmen eher im Unterricht angesiedelt sind als in der Organisation oder beim Personal. Das Verhältnis zwischen Zielsetzungen und Maßnahmen erlaubt eine Typologisierung der Kantone nach ihrem Stand im Transformationsprozess. Die Erkenntnisse aus der Dokumentenanalyse werden mit jenen aus der Online-Befragung ergänzt und zu ihnen in Bezug gesetzt.
Allokation von Ressourcen für heil- und sonderpädagogische Angebote in inklusiven Schulen
Prof. Dr. Monika T. Wicki
Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik, Institut für Professionalisierung und Systementwicklung, Zürich, Schweiz
Für die Gestaltung inklusiver Lernsettings stehen den Schulen – vorwiegend personelle – Ressourcen zur Verfügung, über deren Einsatz sie im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben selbst entscheiden können. Bisher gibt es für die Schulen jedoch keine evidenzbasierten Grundlagen, wie sie die Ressourcen effektiv und effizient einsetzen können. Solche Kenntnisse über die Allokation von Ressourcen sind wichtig als Grundlagen für die Qualitätssicherung und die Weiterentwicklung der regulatorischen Rahmenbedingungen.
Ziel des Projektes war zu prüfen, inwiefern die Allokation der Ressourcen die inklusive Schulung von Schülerinnen und Schülern beeinflusst. In fünf Deutschschweizer Kantonen wurden Daten zur Ressourcenallokation sowie zum Umfang, zur Nutzung und zur Art der Finanzierung heil- und sonderpädagogischer Angebote in der Volkschule erhoben. Befragt wurden Schulleitende, Lehr- und heilpädagogische Fachpersonen.
Die Daten werden deskriptiv aufbereitet. Mittels Clusteranalyse (K-Means-Verfahren) werden Typen der Allokation herausgearbeitet. Mit Varianzanalysen wird überprüft, ob sich diese Typen in Umfang, Nutzung und Art der Finanzierung unterscheiden.
Das Projekt liefert fundierte Hinweise und Empfehlungen zur Allokation von Ressourcen in inklusiven Schulen. Dies ist vor allem deshalb von großer Bedeutung, da zahlreiche Kantone aktuell im Begriff sind, die regulatorischen Grundlagen zur Finanzierung, Organisation und Steuerung heilpädagogischer Angebote neu zu formulieren.
Ressourcen für eine digital-inklusive Schulentwicklung in Österreich basierend auf den Erfahrungen von Lehrkräften aus dem pandemiebedingten Fernunterricht
Lea Hochgatterer, Franziska Reitegger, Prof. Dr. Barbara Gasteiger-Klicpera
Universität Graz, Österreich; Forschungszentrum für Inklusive Bildung Graz, Österreich
Die digitale Transformation des Unterrichts kann schulische Inklusion fördern, indem die Teilhabe am sozialen Leben maximiert, Diskriminierung reduziert und Bildungschancen erhöht werden (Arndt & Werning, 2017; Ainscow et al., 2006; Hartung et al., 2021). Allerdings sind mit dieser Transformation umfangreiche Herausforderungen verbunden, die während des pandemiebedingten Fernunterrichts deutlich wurden (Huber et al., 2020).
Dieser Beitrag widmet sich der Analyse der Erfahrungen österreichischer Lehrpersonen mit dem Einsatz digitaler Ressourcen im Fernunterricht sowie der Frage, wie diese Erfahrungen zur digital-inklusiven-Schulentwicklung beitragen können. Dazu werden die qualitativen Ergebnisse einer Interviewstudie von Lehrkräften (N=16) der Primar- und Sekundarstufe herangezogen, welche im Rahmen eines Mixed-Methods Forschungsprojekts von April 2021 bis Jänner 2022 erhoben wurden. Ergänzend werden Ergebnisse der quantitativen Erhebung von 51 Lehrpersonen berichtet.
Die Lehrkräfte berichteten von positiven Erfahrungen mit digital-inklusiven Praktiken, die zu einem nachhaltigen schulischen Entwicklungsprozess geführt haben. Eine enge Zusammenarbeit mit allen Beteiligten und die Nutzung digitaler Kommunikationskanäle konnten als wichtige Gelingensfaktoren zur Förderung einer inklusiven Schulentwicklung identifiziert werden. Entscheidend scheint zudem die Fokussierung auf vorhandene Ressourcen und Stärken zu sein, um inklusiv-digitale Schulentwicklung weiterzuentwickeln.
Akteurskonstellationen und Prozesse der Transformation zu einem inklusiven Bildungssystem in Deutschland und weiteren europäischen Ländern
Prof. Dr. Kerstin Merz-Atalik1, Prof. Silvia Kopp-Sixt2, Prof. Dr. Heike Tiemann3, Katja Beck1
1Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, 2Pädagogische Hochschule Steiermark, Österreich, 3Universität Leipzig
Reformen zur Implementierung eines inklusiven Bildungssystems können als `konfliktreiche Reformprogramme´ (Rürup 2011) gesehen werden. Steuerung erweist sich hierbei häufig als überkomplex, da vielfältige Ebenen der Bildungssysteme und ihrer Verwaltung, Organisationen und einzelne Akteure als auch Akteursgruppen eingebunden sind. Für die angestrebte Transformation erscheint die Berücksichtigung der Effekte für alle Akteure im Change-Management notwendig. Das Projekt GovInEd erzielt Erkenntnisse über die Steuerungsprozesse und die Handlungskoordination in den Mehrebenensystemen in Baden-Württemberg (Deutschland), Südtirol (Italien), Steiermark (Österreich) und Barcelona (Spanien). Im Rahmen der ErasmusPlus kooperativen Partnerschaft (2022-2024) wurden mit einem qualitativen Ansatz, der „Partizipativen Mehrebenen-Netzwerk-Analyse“ (PMNA) (Merz-Atalik & Beck, 2023), unter Beteiligung der Akteure die Strukturen, Prozesse und Interdependenzen in den Schulverwaltungsregionen erhoben, sowie auf der Basis von Dimensionen effektiver Governance gegenübergestellt und diskutiert. Der internationale Vergleich soll dazu beitragen effektives Steuerungshandeln zu erkennen. Im Vortrag wird das Projekt, die grundlegenden (forschungs-)methodischen und wissenschaftstheoretischen Zugangsweisen, sowie erste Ergebnisse präsentiert.